29.1.2021

„Die Zeit der Diskussionen ist vorbei: Deutsche Schulen müssen endlich handeln!“

Medien- und Digitalisierungsexpertin Stephanie zu Guttenberg erklärt im Interview, was Lehrer, Eltern und Schüler jetzt unternehmen müssen, um digitalisierungsfit zu werden.
Stephanie zu Guttenberg spricht sich seit vielen Jahren für einen verantwortungsvolleren Umgang mit digitalen Medien aus. Als Mitinhaberin des Start-Ups BG3000 macht sie sich etwa für kostenlose Digitalisierungsworkshops an deutschen Schulen stark. Die 42-jährige Unternehmerin und Mutter fordert zudem ein ganzheitliches Umdenken in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Im Gespräch berichtet sie, welche Veränderungen Ihrer Meinung nach nun forciert werden müssen.


Frau zu Guttenberg, Sie engagieren sich seit über 20 Jahren auf dem Gebiet der digitalen Bildung und Aufklärung. Wo stehen wir derzeit?

Leider denke ich manchmal, dass in den vergangenen Jahren zwar viele neue Geräte hinzugekommen sind, wir in Sachen Medienbildung aber immer noch ganz am Anfang sind. Die Corona-Krise hat abermals offenbart, dass wir in Europa, aber ganz speziell in Deutschland unfassbar hinterherhinken. Unsere Kinder sind nicht nur technisch miserabel ausgestattet. Sie verfügen auch nicht über das notwendige Rüstzeug, um sich im Falle eines Falles gegen Cyberkriminelle wehren zu können, Fake News von wahren Informationen zu unterscheiden und – da denke ich noch einen Schritt weiter – im internationalen Wettbewerb mithalten zu können. Medien und Digitalisierung sollten endlich fest im Curriculum verankert werden. Sie müssen Teil des Lehrplans werden – und einen ebenso wichtigen Stellenwert erhalten wie die Vermittlung anderer Kompetenzen wie etwa Lesen, Schreiben oder Rechnen.


Sie haben viele Jahre in den USA gelebt. Ihre Töchter sind sowohl in Deutschland als auch in den Vereinigten Staaten zur Schule gegangen. Sie haben also einen direkten Vergleich. Was muss sich in Deutschland ändern?

Was können Schulen und Co. denn konkret unternehmen?

Sie müssen Medienbildung und Digitalisierung jetzt endlich in ihren Lehrplänen verankern. Es gibt immer noch Schulen, die ein paar Mal die Woche und eher am Rande „EDV“-Kurse anbieten. Allein der Begriff EDV ist doch absolut veraltet. Sowohl Lehrer als auch Schüler, aber auch die Eltern müssen Werkzeuge – und damit meine ich nicht nur Geräte, sondern auch andere Tools und eine gehörige Portion Hintergrundwissen – an die Hand bekommen, um digitalisierungsfit zu werden. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. 


Welche Themen müssen denn im Unterricht behandelt werden?

Zum einen müssen wir den Umgang mit den Geräten lernen, zum anderen den Einsatz verschiedener Anwendungen, Apps und Plattformen. Ganz wichtig ist mir aber auch das Thema „Netiquette“, nicht zu vergessen Cybersecurity, Datensicherheit, Passwörter, aber auch das Thema Cybermobbing – also alles, was für den persönlichen Schutz wichtig ist. Sie sehen, es gibt so einiges, mit dem wir uns beschäftigen müssen, denn die Chancen und Möglichkeiten der neuen Medienwelt sind absolut faszinierend und so vielfältig. Nun liegt es an uns, sie verantwortungsvoll und smart zu nutzen, und dies auch an die nächsten Generationen weiterzugeben. Bloß keine dröge Theorie, sondern gelebtes und nützliches Praxiswissen. Ein weiteres ganz wichtiges Themenfeld ist „Digital Citizenship“, also wie gehen wir respektvoll und gut miteinander um im Netz? Wie werden wir eine engagierte und verantwortungsvolle digitale Gesellschaft? Eltern wiederum brauchen Handlungsempfehlungen, wie sie die Bildschirmzeit ihrer Kinder kontrollieren und regulieren können. Es geht hier nicht um Überwachung, sondern liebevolle Begleitung. Wir können ja gemeinsam lernen.


Lassen Sie uns noch einmal auf die USA zurückkommen: Was läuft an amerikanischen Schulen denn anders?

Ein Beispiel sind Dokumente, die in den USA schon längst via E-Mail verschickt oder per Filesharing und über Lernplattformen geteilt werden. In Deutschland gibt es immer noch viel zu viele Kopien und sogar Tageslichtprojektoren. Das zeigt doch, wie hinterwäldlerisch so einiges ist. Nicht zu vergessen einige Pädagogen, die sich gar nicht mit neuen Möglichkeiten beschäftigen wollen. Ich will bestimmt nicht alle über einen Kamm scheren, aber es gibt doch ein paar Lehrer, die nicht mitziehen wollen. Außerdem sind in den USA Geräte zumeist besser vernetzt, alle Schülerinnen und Schüler haben Zugriff auf einen Laptop oder ein Tablet. Auch in Sachen Handyregeln sind US-Schulen schon deutlich weiter – selbst wenn es natürlich auch hier Probleme hinsichtlich des Cybermobbings gibt; ich will das gar nicht alles schönreden. Bereiten einige deutsche Schüler Referate und Präsentationen noch mithilfe eines Papierposters vor, sind es in den USA vorrangig Powerpoint-Präsentationen. Das muss aber erlernt und gelehrt werden, denn derartige Skills benötigen wir heute schließlich in nahezu jedem Job. Und wir dürfen auch nicht erst in den weiterführenden Schulen anfangen. Digitale Bildung beginnt niederschwellig in der Grundschule.


Derzeit engagieren Sie sich für die Initiative BG3000. Was genau macht diese Initiative, und wie kann ich mir ein Smart Camp vorstellen?

Wir setzen genau an den Pain Points an, die ich gerade genannt habe. BG3000 bietet kostenlose Smart Camps für Schülerinnen und Schüler, aber auch Lehrercamps, Azubi-Workshops und mehr. Bekannte und erfahrene Medien-Profis wie YouTuber und Instagram-Stars, Experten aus Wirtschaft sowie junge Profis aus der Praxis geben bei diesen Camps Einblicke in ihre Arbeit und führen an Themen wie Chancen und Risiken der neuen Medien, sensibler Umgang mit Daten, kreative Verwirklichung eigener Ideen und Projekte sowie Berufsorientierung heran. Wir bieten diese Camps an allen Schulen in Deutschland an und arbeiten eng mit Politik und Wirtschaft, um den bereits angesprochen gesamtgesellschaftlichen Ruck in die Wege zu leiten. Gemeinsam bekommen wir es sicherlich hin, in Sachen Digitalisierung endlich aufzuholen und international nicht den Anschluss zu verlieren. Kinder und Jugendliche benötigen eine Art digitalen Führerschein, der sie befähigt, mitzuhalten und mitzugestalten.

Ein lobenswertes Anliegen, aber sollten nicht die Schulen selbst derartige Angebote machen?

Ja, aber das deutsche Bildungswesen ist an vielen Stellen einfach ungemein starr und benötigt deshalb kreative Impulse von außen. Wir können nicht länger warten und müssen jetzt handeln! Wir agieren quasi wie ein Schnellboot, bis die Tanker – also die Verantwortlichen aus Politik und Bildung – aktiv werden können. Die Digitalisierung legt ein immenses Tempo vor, und da können Schulen zumeist nicht mithalten. Daher benötigen sie Unterstützung. Ich möchte hier auch persönlich Impulse bieten und Themen, die mir am Herzen liegen, vorantreiben.  

 

Vielen Dank für dieses Gespräch!