1.2.2021

Mehr als Technik: Digitalisierung ja, aber gewusst wie….

Warum der digitale Wandel so viel mehr ist als die Ausstattung mit Breitband und tollen Geräten, und warum es an der Zeit ist, Benehmen und Manieren im Netz im Lehrplan und am Familientisch zu etablieren. 
Es sind Schlagzeilen wie diese, die neben den aktuellen Corona-Zahlen, Diskussionen und Debatten derzeit die Gemüter erhitzen: „Deutschlands Schulen bei der Digitalisierung noch hinter Moldawien“ oder „Deutschland Schlusslicht beim digitalen Lernen“. Als Bildungsaktivistin und Fürsprecherin für einen Digitalisierungsschub, der unser Land endlich erfassen muss, lese ich derartige Nachrichten tagtäglich mit Schrecken und Sorge. Schließlich untermauern Studien wie diese das, was ich seit vielen Jahren fordere: Wenn wir nicht das Nachsehen haben, unsere Kinder international nicht abgehängt werden sollen, dann muss etwas geschehen. Und zwar nicht morgen, sondern sofort! Gleichzeitig möchte ich aber stets hinterherrufen: „Digitalisierung, ja! Aber bitte nicht wie ein aufgeschrecktes Huhn ohne jegliches Konzept, denn das kann nur nach hinten losgehen.“ 

Technik ist nicht alles

Was ich damit meine? Es ist längst nicht ausreichend, jede Schule mit dem schnellsten Internetanschluss auszustatten, jedem Schüler das neuste Tablet in die Hand zu drücken und Kinder in den verschiedensten Einrichtungen mit Lernplattformen, pfiffigen Spiele-Apps oder Webseiten-Baukästen zu bombardieren. Was nützen die tollsten Tools, modernsten Geräte und beeindruckendsten Lösungen, wenn der dringend notwendige Unterbau, das Verständnis und Know-how einer bewussten, sinnvollen, sicheren und fairen Nutzung fehlen?

IT-Knowhow mit Praxisbezug

Darum muss die Digitalisierung unseres Bildungssystems, ja, unseres gesamten Landes unbedingt auf zwei Säulen fußen: Zum einen geht es natürlich um die technische Ausstattung, die nach wie vor mangelhaft ist. Schulen, Einrichtungen und Elternhäuser benötigen schnelles und verlässliches Internet. Kinder und Jugendliche, egal, woher sie kommen, oder wie hoch das Einkommen ihrer Eltern ist, brauchen leistungsstarke Geräte und Ausstattung, um im Unterricht oder beim Homeschooling mitmachen zu können. Hinzukommt, dass Programme – sei es Excel, Powerpoint, Instagram oder ganz andere Tools – vorhanden sein und verstanden werden müssen. Es geht also um Unterricht und Seminare, in denen es darum geht, wie ein Referat digital aufbereitet werden, eine Website gebaut, eine Videokonferenz aufgesetzt werden kann.

Karikaturenwettbewerb "Digitalisierung – (k)ein Problem?"                                                                                                                                            


Netiquette muss gelehrt und gelernt sein

Die zweite wichtige Säule aber ist der richtige Umgang mit diesem Werkzeugkasten, der gelernt und gelehrt werden muss. Und hiermit meine ich keineswegs das rein technische Funktionswissen, das ja wie oben bereits erwähnt in speziellen Stunden in den Unterricht integriert werden kann und soll. Nein, die Sprache ist von „Netiquette“, dem Miteinander im Netz, gutem und respektvollem Benehmen in der technischen Kommunikation. Was darf gesagt und geschrieben werden? Wo liegen die Grenzen? Was verletzt? Wo schade ich mir und/oder anderen? Was ist rechtlich und menschlich nicht in Ordnung?

Erschreckend viele Kinder Opfer von Cybermobbing


Es ist genau einer dieser Bereiche, der meiner Ansicht in der aktuellen Debatte um die nach wie vor stockende Digitalisierung in unserem Land viel zu wenig Beachtung findet. Eine aktuelle Studie des „Bündnisses gegen Cybermobbing“ in Kooperation mit der Techniker Krankenkasse hat Anfang Dezember abermals erschreckende Ergebnisse zu Tage gebracht: Demnach ist die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die von Cybermobbing betroffen sind, in den vergangenen drei Jahren um mehr als ein Drittel gestiegen. Nahezu jedes fünfte Kind, darunter auch schon Grundschüler, ist laut Umfrage schon einmal Opfer von Beschimpfungen, Beleidigungen oder Verleumdungen in den sozialen Medien oder im Internet geworden. Die Corona-Pandemie hat die Lage deutlich verschärft, da Kinder und Jugendliche viel länger online unterwegs sind. Die Folgen derartigen Cybermobbings, das manchmal so unschuldig daherkommt – „Aber ich habe es doch gar nicht böse gemeint.“ – kann furchtbare Folgen haben: Von Niedergeschlagenheit über Konzentrationsprobleme bis zu Angst, Wut, Magenschmerzen oder sogar Suizidgedanken. 


Respektvolle Kommunikation im Netz als gesellschaftliche Aufgabe

Was wir, was unsere Gesellschaft unternehmen kann? Eine ganze Menge! Zum einen dürfen wir nicht länger wegschauen. Wir dürfen, ja, wir müssen hinterfragen, wenn uns etwas auffällt, ein Kind etwa ungewöhnlich still oder in sich gekehrt ist. Zugleich müssen wir und unsere Kinder aber vor allem endlich lernen, was sich im Netz gehört, wie man sich online verhält und fair gegenüber anderen ist. Wir bringen unseren Kindern doch so vieles bei: Wie sie am Tisch sitzen sollten, wie sie Fahrrad fahren können, wie sie „Bitte“ und „Danke“ sagen. Zu unserer Zeit gehört dazu dringend auch, wie sie im Netz kommunizieren. Dies ist Aufgabe von sowohl Elternhaus als auch Gesellschaft und Bildungssystem.


Wenn es in Zeiten von Corona und Homeschooling nun vermehrt um Online-Unterricht und Handyzeit geht, müssen wir auch Zeit und Raum geben und nehmen für das wichtige Thema „Verhalten im Netz“.